Sozialhilfe reicht nicht zum Leben

Armutsbetroffene Menschen leben in der Schweiz unter prekären Bedingungen. Zu diesem Schluss kommt die Organisation Menschenrechte Schweiz. Sie bemängelt mehrere Punkte im Schweizer Sozialhilfesystem und zeigt auf, dass die Situation für Menschen ohne Schweizer Pass besonders schwierig ist. Ihnen droht der Verlust der Aufenthaltsbewilligung. Eine parlamentarische Initiative will diesen Missstand beheben.

Armutsbetroffene Menschen kommen in der Schweiz trotz Sozialhilfe kaum über die Runden, aufgenommen am 18. Januar 2018 in ihrer Wohnung in der Zentralschweiz. (KEYSTONE/Christof Schuerpf)

Das Recht auf ein würdiges Leben ist in der Bundesverfassung verankert. Dazu gehören die Deckung der Kosten für den täglichen Bedarf, die Krankenversicherung und die Miete sowie die Möglichkeit zur Teilnahme am sozialen Leben. Die Sozialhilfe wäre das Instrument, um dies auch armutsbetroffenen Menschen zu ermöglichen. Das System weise aber erhebliche Schwachstellen auf, schreibt Menschenrechte Schweiz. Die Organisation bemängelt gleich mehrere Punkte.

Zu tief berechneter Grundbedarf, grosse kantonale Unterschiede

Die Ausgestaltung der Sozialhilfe liegt in der Kompetenz der Kantone. Zu deren Orientierung stellt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS Richtlinien zur Verfügung. Dazu gehört der ermittelte Grundbedarf, der laut Menschenrechte Schweiz mit 1’006 Franken im Jahr 2021 ohnehin zu tief angesetzt ist. Gleich tönt es von Caritas, die bereits 2019 festhielt, dass die Sozialhilfe den Grundbedarf nicht mehr deckt. Hinzu kommt: Die SKOS-Richtlinien sind als Empfehlungen nicht verpflichtend. Dies führt dazu, dass 2021 sieben Kantone weniger als 1’000 Franken an den Grundbedarf einer erwachsenen Person bezahlten. Junge Erwachsene müssen in einem der Kantone gar mit nur 457 Franken auskommen.

Für das Jahr 2023 empfiehlt die SKOS eine Erhöhung des Grundbedarfs auf 1031 Franken. Dem folgen die meisten Kantone. Genf und St. Gallen bleiben bei den 1’006 Franken. Der Kanton Bern zahlt mit 977 Franken mit Abstand am wenigsten aus.

Verheerende gesundheitliche Folgen

Ein Leben in Armut führt zu schlechten Zukunftschancen und ungesunder Ernährung und schliesslich zu gesundheitlichen Problemen. Sozialhilfebezüger:innen sind überdurchschnittlich oft gesundheitlich angeschlagen, wie eine Studie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt. Sie leiden unter chronischen Erkrankungen und psychischen Beschwerden.

Sozialhilfebeziehende verfügen über einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand als die Restbevölkerung.<span class="su-quote-cite"><a href="https://www.bag.admin.ch/dam/bag/de/dokumente/nat-gesundheitsstrategien/nat-programm-migration-und-gesundheit/chancengleichheit-in-der-gesundheitsversorgung/gesundheitsversorgung-fuer-armutsbetroffene/studie-gesundheit-von-sozialhilfebeziehenden.pdf.download.pdf/Studie%20Gesundheit%20von%20Sozialhilfebeziehenden.pdf" target="_blank">Studie zu Gesundheit von<br /> Sozialhilfebeziehenden vom BAG</a></span>

Wer es trotz erschwerter Umstände schafft, aus dem System wieder rauszukommen und so viel zu verdienen, dass es zum Leben reicht, muss in einigen Kantonen die bezogenen Leistungen zurückzahlen. Dies, obwohl die SKOS in ihren Richtlinien vermerkt hat, darauf zu verzichten.

Drohender Entzug der Aufenthaltsbewilligung

Diese Punkte und auch eine bis tief in das Privatleben reichende soziale Kontrolle führen laut Caritas Schweiz dazu, dass 30 bis 50 Prozent aller Personen, die Anspruch auf Sozialhilfe hätten, auf diese verzichten. Sie versuchen sich mit mehreren Jobs über Wasser zu halten und setzen dabei ihre psychische und physische Gesundheit aufs Spiel.

Viele davon sind Menschen ohne Schweizer Pass. Ihnen droht mit der aktuellen Gesetzgebung ein Entzug der Aufenthaltsbewilligung, wenn sie von der Sozialhilfe abhängig werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie bereits seit fünfzehn Jahren in der Schweiz sind oder gar hier geboren wurden. Die hängige parlamentarische Initiative «Armut ist kein Verbrechen» von SP-Nationalrätin Samira Marti will dies nun ändern.

Aus Angst vor diesen Konsequenzen verzichtet heute ein Teil der ausländischen Bevölkerung auf die soziale Unterstützung, die ihr zustehen würde. Besonders betroffen sind Alleinerziehende. Dieser Nichtbezug führt zu prekären Situationen, in denen auch der Zugang zu Lebensmitteln, zu einer Wohnung oder zur Gesundheitsversorgung eben nicht mehr gewährleistet ist.<span class="su-quote-cite"><a href="https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=58236" target="_blank">Votum von Samira Marti im Nationalrat</a></span>

Eine Wegweisung wegen Sozialhilfebezug soll ab zehn Jahren Aufenthalt nicht mehr möglich sein. Der Nationalrat hat der Initiative bereits Folge geleistet. Im Ständerat dürfte sie aber einen schwereren Stand haben.

5 Kommentare

  1. Diesbezüglich ist unser Handeln in der Schweiz beschämend und entwürdigendund! Es trifft nicht nur Männer, sondern auch Frauen, Jugendliche und Kinder! PolitikerIn sollten vor ihrer Wahl als National- und Ständerätinnen eine Woche so leben müssen, um deses brutale System am eigenen Leib zu erfahren.

  2. Wir müssen nach abzug von Miete Kk Telefon Steuern noch mit Fr 500.–auskommen 2 Erwachsene und 1Wohnunhs Katze pro Monat. Ist echt schwierig.

  3. Es ist sehr Beschämend, bin selber Betroffen. Muss ein Sozialhilfeempfänger eine neue Wohnung suchen, fängt der Schlimmste Alptraum an.
    Null Unterstützung ausser das Angebot, sollte man nichts finden, wäre im Asylheim 1 Zi. Frei, 2 Pers. Nichts gegen Asylheime, gut das es die gibt. Aber als Arbeitende (Lehrling mit dabei) nicht so eine tolle Aussicht. Jedoch zahlt jede Gemeinde andere Beiträge zur Miete, die mit den heutigen Miet Preisen nicht mehr Händel bar sind. Vom Überleben Red ich gar nicht, reicht nur ganz selten bis Ende Monat, dann heisst es Reduzieren was noch zu Reduzieren ist. Ja das ist die Reiche Schweiz.

  4. Und nun da so viele Menschen an #longcovid&Co. (und ähnlichem/zumindest äusserlich Vergleichbarem!) leiden, wird sich das Problem noch verschärfen; viele dieser Menschen werden nämlich in die Sozialhilfe abgeschoben (werden).

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