Frauenticket für Bundesrat: SP bleibt konsequent

Die SP geht mit einem reinen Frauenticket in die Bundesratsersatzwahlen. Die heftigen medialen Diskussionen rund um die angebliche «Diskriminierung» von Männern zeigen, dass eine angemessene Frauenvertretung in unserem Land immer noch keine Selbstverständlichkeit ist.

Nach der Nicht-Wahl von Bundesratskandidatin Christiane Brunner demonstrieren am 10. Maerz 1993 hunderte von Menschen vor dem Bundeshaus in Bern. (KEYSTONE/Str)

«Für die SP ist klar, dass die Nachfolge von Simonetta Sommaruga eine Frau sein muss.» Das sagte Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz, nach dem Rücktritt von Simonetta Sommaruga. Heute hat sich die SP-Bundeshausfraktion hinter diesen Vorschlag gestellt. Sie wird der vereinigten Bundesversammlung ein reines Frauen-Ticket für die Bundesratswahlen am 7. Dezember präsentieren. Weil die anderen Parteien angekündigt haben, dass sie sich an die Vorauswahl der SP halten werden, wird damit höchstwahrscheinlich eine SP-Frau die (erst) zehnte Bundesrätin der Schweiz.

It’s a man’s world

Seit der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 waren bis heute nur neun Frauen im Bundesrat vertreten. Von insgesamt 119 Bundesrät:innen, waren also 110 davon Männer. Schauen wir uns das gesamte Bild der nationalen Politik an, zieht sich diese Untervertretung überall durch. Vor allem sind die Unterschiede nach Parteien gewaltig. Während bei der SP bereits mehr als die Hälfte der Bundeshausfraktion Frauen sind, hinken die bürgerlichen Parteien eklatant hinterher.

Von wegen Diskriminierung

Rund um die öffentliche Diskussion zum Frauenticket kam auch das Thema der Diskriminierung aufs Tapet: Ist es diskriminierend, wenn ein Mann Bundesrat werden möchte, seine Partei aber aufgrund des Gleichstellungsarguments nur Frauen auf dem Ticket will? Nein, sagt das Gleichstellungsgesetz in Art.3 Abs.3: «Angemessene Massnahmen zur Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung stellen keine Diskriminierung dar.» Einen Schritt weiter geht die Politologin Lea Portmann in ihrem Gastkommentar in der NZZ: «Bezeichnet man jede Benachteiligung von Einzelpersonen oder Personengruppen als Diskriminierung, verwässert dies die Bedeutung und Relevanz dieses Begriffs und sabotiert damit alle tatsächlich systematisch benachteiligten Gruppen in ihren Bemühungen um Gleichberechtigung.»

Die Teilhabe an der Rezeptur des Kuchens

Wir wollten es noch genauer wissen und haben bei der Geschlechterforscherin und Soziologin Franziska Schutzbach nachgefragt. Zu «direkt» sagt die Forscherin: «Frauen beanspruchen Mitsprache und Gleichberechtigung. Und sie wollen nicht nur ein Stück des Kuchens, sie wollen mitbestimmen über dessen Rezeptur», sprich:

«Die Regeln des Zusammenlebens und die Verteilung von Macht, Einfluss und Ressourcen sollen gleichberechtigt ausgehandelt werden. Das ist essentiell, gerade auch bei der Repräsentation in der Politik.»

Franziska schutzbach

Weiter betont Schutzbach, dass «je mehr Menschen am Tisch sitzen und mitreden wollen, einige auch Platz machen müssen. Das sind jene, die aufgrund von diskriminierenden Strukturen vorher das Privileg hatten unter sich am Tisch zu sitzen». Aus ihrer Sicht ist denn auch die Herstellung tatsächlicher – nicht bloss formaler – Gleichheit eine Kernauftrag demokratischer Verfassungen.

«Machen Sie Platz, Monsieur!»

Würde die SP-Fraktion nicht auf ein Frauenticket setzen, wäre das Risiko gross, dass auf die SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga ein Mann folgt. Dann wären nur noch zwei von sieben Mitgliedern der Landesregierung Frauen. Dass bei gemischten Tickets häufiger Männer als Frauen gewählt werden, hängt nicht an den Kompetenzen der Kandidatinnen, sondern vor allem an den parteipolitischen Interessen der Fraktionen und Parlamentarier:innen. Diese Lektion musste die SP bereits zweimal schmerzhaft erleben: Nach der Nichtwahl von Lilian Uchtenhagen im Jahr 1983 wollte die SP mit Christiane Brunner endlich eine Bundesrätin. Wie bei Uchtenhagen wurde Brunner ein Mann vorgezogen. Es ging ein Aufschrei durch die Schweiz. Als die SP der Bundesversammlung schliesslich ein Frauenticket mit Christiane Brunner und Ruth Dreifuss vorschlug, wartete die ganze Schweiz gebannt vor dem Bundeshaus. Ruth Dreifuss wurde gewählt und hat massgebliche Veränderungen in der Schweizer Politik herbeigeführt.

Die am 10. Maerz 1993 neu gewaehlte Bundesraetin Ruth Dreifuss wird zusammen mit der unterlegenen Erstkandidatin Christiane Brunner von einer jubelnden Menge vor dem Bundeshaus empfangen. (KEYSTONE/Lukas Lehmann)

Frau kann, wenn bürgerlicher Mann will?

Was auffällt: Die Gleichstellungspolitik der Sozialdemokrat:innen wurde durch die bürgerliche Mehrheit im Parlament mehr als einmal torpediert. Während 2018 von links bis rechts die Forderung nach paritätischer Vertretung der Geschlechter im Bundesrat Fahrt aufnahm und sich auch FDP-Frauenpräsidentin Doris Fiala bei ihrer eigenen Partei für ein reines Frauenticket stark machte, scheint dies heute auf bürgerlicher Seite in den Hintergrund gerückt zu sein.

Breaking news: Doris Leuthard tritt zurück. Jetzt erst recht! Die Schweizer Politik hat ein Männerproblem. Die Schweizer Frauen starten den Marsch auf Bern. Kick-off heute Abend 19.15 Uhr in der Aula im Progr in Bern. #Bundesraetinnen LINK: https://t.co/AYWETOGIDL pic.twitter.com/aflV93u2ij

— alliance F (@alliance_F) September 27, 2018

Die momentane öffentliche Debatte zeigt auf, dass eine angemessene Vertretung der Frauen im Bundesrat noch keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Mit dem heutigen Entscheid der SP-Bundeshausfraktion ist der Weg für die zehnte Bundesrätin der Schweiz frei. Doch bis Gleichstellung in allen Parteien Einzug hält, braucht es noch viel.

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